Election Campaigning The underestimated campaign medium: posters for the 2024 European elections
70% of eligible voters have little or no interest in politics, but most of them still go to the polls. Self-selected media such as social media are the focus of election strategists, but do not reach these people. What they do reach are media that can hardly be avoided, above all election posters. However, this is regularly underestimated by the parties as a "compulsory exercise" - as can be seen again in the 2024 European election campaign.
Posters are relatively inexpensive for parties, as they can be hung up or put up in public spaces free of charge for a period of around 6 weeks, so the only costs incurred are for design and printing, and possibly for hanging up and collecting by professionals. In public perception, the election campaign begins as soon as the lampposts are covered with posters. Anyone who is visible there is obviously competing and expects a strong result. Those who can afford it therefore use posters - but not necessarily ideally.
Wie ginge es besser?
Ich habe zu diesem Zweck mal zusammengeschrieben was aus meiner Sicht und Erfahrung den aktuellen Umgang mit Plakaten als lästige Pflichtübung von einer Kür unterscheiden würde, die das Potenzial des Mediums voll ausreizt.
Pflicht:
Die Plakate sollten in einer einheitlichen, leicht wiedererkennbaren und zur Partei passenden Kampagnenoptik gestaltet werden. Einheitlichkeit bei Schrift, Logo- und Claimplatzierung ist eine wichtige Voraussetzung, ein uneinheitlicher Auftritt lässt an der Organsiationsfähigkeit der Partei zweifeln.
Texte sollten lesbar und schnell erfassbar sein. Bei Großflächen kann ausnahmsweise etwas mehr Text sein, wenn diese an Stellen platziert werden, an denen man diesen auch lesen kann, etwa an ÖPNV-Haltestellen.
Lesbarkeit alleine reicht aber nicht. Wenn Plakate verschiedener Parteien übereinander hängen, geht es auch um schnelle Wiedererkennbarkeit von weitem, dazu müssen die Plakate herausstechen. Farbe kann das lösen, (Etwa die Reinrot-Optik der SPD 2021 oder auch die Schwarz-Weiss Optik der FDP 2017). Farbe ist allerdings nicht die einzige denkbare Lösung, mit der man herausstechen kann.
Kür:
Denn Farbe verleitet bei Themenplakaten zu Wortbotschaften. Damit nimmt man sich aber die Möglichkeit, die Themen zugleich über Bilder auch emotional zu vermitteln, was dem Hemisphärenmodell des Großhirns zufolge die Wirkung der Botschaft beim Empfänger verdoppeln dürfte.
Die Plakate hängen in der Regel um die sechs Wochen und in so omnipräsenter Zahl, dass man sich sicher sein kann, dass sie mehrmals gesehen werden. Das langweilt. Eine Plakatkampagne erfolgt daher idealerweise in mindestens zwei Wellen. Klar, das erfordert etwas mehr Organisation. Schafft aber erneute Aufmerksamkeit, vor allem wenn die anderen keine weitere Welle mehr auf Lager haben.
Zu Beginn der einer ersten Phase empfiehlt sich für Voll-Programm-Parteien, ihr programmatisches Angebot in der Breite bewerben (zur Formulierung der Programmatik empfehle ich das Studium der Wahltest-Ergebnisse). In einer Serie von Themen, sollten alle idealerweise verbindbar mit einem Kernwert (Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit ...) verbunden werden können, der den roten Faden spinnt. Dieser bildet die Spitze einer Pyramide von Einzelbotschaften (die als solche nicht kommuniziert wird, aber ein gedankliches Hilfsmittel zur Herstellung von Konsistenz ist).
Die Zuspitzung auf eine Person (Spitzenkandidat*in) oder ein Kernargument (bei kleineren Parteien) erfolgt erst zum Ende hin. Werden die Kandidierenden vorgestellt, darf gerne mehr als Foto und Name kommuniziert werden. Gesichter wecken nachweislich höchste Aufmerksamkeit, die Chance Personen mit Botschaften zu verknüpfen, und so auch hierüber nochmals Themen, Werte oder Anknüpfungspunkte für bestimmte Zielgruppen zu vermitteln sollte man sich nicht nehmen lassen. Diese mit den Kandidat*innen abzustimmen ist eine Herausforderung, die sich aber lohnt.
Location, Location, Location: Der Laternenpfahl hat sich als die einfachste bequemste Lösung durchgesetzt, um den Preis, dass man hier mit allen anderen um Aufmerksamkeit konkurriert. Unten wird man gerne mal verziert oder beklebt, ganz nach oben kommt man aber nur als Erste, zudem muss man Freiwilligenteams im Umgang mit Besen und Leitern schulen.
In Vergessenheit geraten ist der Plakatständer, den man bis zur nächsten Wahl einlagern müsste und der Vandalismus stärker ausgesetzt ist. Es gibt aber Orte wie z.B. Fahrbahnteiler für die das weniger gilt. Hier ist eine gute vorausschauende Planung im Zusammenspiel mit den Ehrenamtlichen vor Ort gefragt. Und ein guter Schutz des Orgnisations-Knowhows.
Last but not least: Material. Plakatiert man Umweltschutz, sollte man vielleicht Papp-Plakate auf Recyclingkarton den Hohlkammerplakaten aus Polypropylen (PP) vorziehen, die zwar weitgehend recycelbar sind, aber gerne brechen und dann Mikroplastik in der Umwelt hinterlassen.
Der Plakatwahlkampf in der Europawahl 2024
Leider gelang mir auch mit Unterstützung meines Kollegen im wegewerk nicht, alle kandidierenden Parteien und auch die Großflächen zu erfassen. Für eine erste Bewertung der Performance sollten aber die nachfolgenden, anhand der Kleinplakate illustrierten, Beispiele reichen.
CDU
Klar erkennbar ist die Bemühung, mit einer Signalfarbe zu arbeiten. Wie zuvor in Österreich setzt die CDU seit 2023 dabei auf Türkis, oder “Cadenabbiablau”. Und wie zuvor im Bundestagswahlkampf der SPD wird die Farbe möglichst flächig eingesetzt in Kombination mit Schwarz und Weiß. Für Emotionalität ist da kaum Platz. Inhaltlich setzt die CDU nur auf die "Spitze" der skizzierten Botschaftspyramide: Inhaltliche Botschaften werden auf Stichworte verkürzt wie "Wohlstand", die Zuordnung zu den Grundwerten (Freiheit und Sicherheit) erfolgt über den Kampagnen-Claim, der selbst als eigenes Plakatmotiv im gleichen Stil wie die Botschaften kommuniziert wird, was jedoch die Hierarchie ein wenig auflöst. Hier wäre aus meiner Sicht mehr zu holen gewesen, indem man Botschaften wie Wohlstand beisielhaft (generisch ginge nicht) illustriert.
AfD
Gut erkennbar ist der Wunsch Bildmotive zu verwenden ohne auf eine Signalfarbe zu verzichten, indem man für beides je die Hälfte der Fläche reserviert. Für die Botschaften hat man ein Korsett kurzer Hauptwort-Verb Kombinationen auferlegt, nicht sehr originell, aber passend zu den wenig um Differenzierung bemühten Botschaften der Partei. Mehr Text geht im Übrigen auch nicht, wenn man wie die AfD darauf setzt als erste und möglichst hoch zu plakatieren, um sich so "Verzierungen" mit Hitlerbärtchen etc. weitgehend entziehen zu können.
SPD
Die SPD setzt wie im Bundestagswahlkampf 2021 erneut auf den Einsatz von Rot als Signalfarbe. Warum auch nicht, könnte man sich denken, die krasse Optik ihrer Plakate hat 2021 ja auch nicht unwesentlich zu ihrem überraschend guten Abschneiden beigetragen. Das Rot hat aber zum einen keinen Neuigkeitswert mehr, zum anderen war das Rot nur die Hälfte der Optik, die andere genauso wichtige Komponente waren die Weitwinkel Schwarz/Weiß Porträts von Scholz. Diesmal Kandidat*innen als Farbbilder ohne nennenswerte Optik abgebildet, was den bei der Bundestagswahl erzielten Effekt zusätzlich abschwächt. Inhaltlich setzt die Partei auf Kombinationen aus zumeist drei Begriffen, für die man sich einsetze, deren gemeinsames Überthema aber diffus bleibt. Dass die SPD ihre Zugehörigkeit zur S&D beziehungweise PES nicht erwähnt und statt ihres Spitzenkandidaten Schmit den Kanzler und ihre Gruppenvorsitzende Barley plakatiert soll wohl einen vermeintlichen Kanzlerbonus abholen, kommuniziert aber in Kombination mit der Deutschlandfahne eine geringe Verbundenheit zu Europa.
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN
Hier wurden die Kleinplakate zur Vorstellung der Themen genutzt und vollflächig illustriert. Ziel der Bilder sollte ja sein, Botschaften emotional zu unterstützen - dafür waren die ausgewählten Bilder allerdings ungeeignet, die Motive zu diffus, die Farben zu dunkel und leblos. Darüber herauszustechen funktioniert so nicht. Das Dunkelgrün für die Texte leider ebensowenig. Die Botschaften haben kein formales Korsett und sind etwas zu lang für Autofahrende, vermutlich sind diese aber nicht Zielgruppe. Dadurch ist alles recht unauffällig und underperformt - vielleicht mit Ausnahme des Motivs "Mach Nazis ein Kreuz durch die Rechnung", das durch eine Text-Bild Schere heraussticht, denn das Kreuz, was man im Bild sieht, ist offensichtlich nicht das, was man laut Text machen soll. Dazu passend, gab es bei den Grünen im Plakatwahlkampf tatsächlich eine zweite Welle, in der man sich als Erz-Antagonist der Rechten positionierte ("Einigkeit, gegen Rechts und Freiheit"). Vielleicht wäre allerdings eine Zuspitzung für etwas als last-minute Mobilisierung zielführender gewesen (Klimaschutz und Sicherheit?). Gut: die europäische Parteizugehörigkeit findet man überall und zumindest die eigene Vertreterin im deutsch-niederländischen Spotzenkandidat*innen-Duo wurde breit pakatiert (auf Großflächen).
Bündnis Sahra Wagenknecht
Sehr einfache Alternativen zwischen etwas Wünschenswertem und seinem Gegenteil, dazu das Bild der namensgebenden Parteivorsitzenden - Hier musste es offenbar schnell gehen. Warum auch nicht - die ausformulierten Alternativen zu illustrieren wäre wohl ein bisschen "cheesy" geworden und Gesichter ziehen ja immer. Dazu übernimmt man das von der CDU zugunsten einer kühleren, konervativeren Farbe aufgegebene einfache warme Orange, mischt ein bisschen Linke-Rot rein, passt - auch zum wenig kreativen Parteinamen. Hätte man erklärungsbedürftige Themen, für die man bei den Wahlen ein Mandat will, ginge das natürlich nicht so einfach. Aber Ziel war hier ja sich als Alternative für Protestwähler*innen anzubieten, das birgt mehr Programmatik und ausgefeiltere Botschaften hingegen ein hohes Risiko jemanden zu stören.
FDP
An dieses eine Plakat können sich irgendwie alle erinnern. Den Haaransatz der Spitzenkandidatin, deren Frisur Titel ihrer Marke ist. Schade, dass man die Idee mit Details der Physiognomie nicht durchgezogen hat. Der Reset der Plakate zeigt die Spitzenkandidatin in recht erwartbaren Posen oder nur Text. Die Texte erklären die Grundwerte, allerdings kaum das Programm. Zwei Farben, von denen mindestens eine zur Markenidentität gehört, vermisst man hier auf dem Plakat. Da hat sich die Partei drei leuchtende Farben gesichert - um dann mit Grau herausstechen zu wollen? Gute Idee: Einer der Plakatiertrupps hat da offenbar mitgedacht und leuchtend gelbe Kabelbinder verwendet, so ist wenigestens ein bisschen vom liberalen Gelb noch drin und dran.
Die Linke
Was die Partei Die Linke im Plakatwahlkampf gmacht, ist erstmal in vielerlei Hinsicht richtig. Zumindest besser als jede andere Partei bemüht sich die Linke ihre Programmatik in Sprüche und Bilder zu fassen und verbindet alles über einen Kampagnenclaim mit ihrem Kernwert Gerechtigkeit. Auch nutzt sie Kandidat*innenplakate für ihre Forderungen. Wie sie es macht, ist dennoch meist nicht optimal. Die Themen wurden mit recht abgenutzten Motiven illustriert zudem in Schwarz-Weiss, womit sie dann kaum noch in der Lage sind, die Botschaft emotional zu stützen. Die Sprüche sind unnötig lang und verkopft ("In Frieden investieren"). Und um nicht mit der SPD verwechselt zu werden wurde ihrer signalfähigen Hausfarbe Rot noch ein Purpurton zur Seite gestellt, was die Leuchtkraft mindert und die ohnehin schon sehr vollen Plakate noch voller macht: Besser wäre vielleicht gewesen, sich auf diesen Purpurton zu beschränken.
Volt
Sich diesmal auf einen Farbton zu beschränken war offenbar die Strategie bei Volt Europa, die ihre Hausfarbe Kardinal-Lila in den letzten Wahlen noch mit diversen Sekundärfarben gemixt hatte. Der Auffälligkeit der Plakate hat es genutzt. Auch sichtbar zum Auffallen bemüht war das Textkonzept, das auf kurze, provokative und auch für Autofahrende leicht lesbare Forderungen setzte, deren porgrammatische Botschaft sich allerdings erst beim Lesen des Kleingedruckten erfassen lies. Damit gelang Volt von allen hier untersuchten Parteien am besten, aus dem Erwartbaren herauszubrechen. Charmant auch die Idee, Kandidierende mit Botschaften zu verbinden, indem man sie als Menschen hinter den Plakaten abbildete. Auch wenn auch Volt die Chance mit Bildern emotionaler zu wirken vergab, hier wurde das Medium Plakat am besten genutzt: Auffälligkeit, Schlichtheit und Konsistenz der Plakatkampagne präsentierte Volt als ernstzunehmende Akteurin mit großem Appetit auf Mitgestalten.
Die Tierschutzpartei
Zum Schluss noch ein Beispiel für einen Kampagne, die eigentlich vorbildlich die Programmatik über Themenplakate mit Bildmotiven illustriert, der jedoch - vielleicht jenseits der negativen Emotion bei der Darstellung von Tierleid - nicht gelingt emotional anzusprechen und kraftvoll zu wirken. Wie bei der Linken ein Problem der Bildredaktion und zusätzlich ein Problem des Designkonzepts. Um den Text ohne Hintergund in Weiss direkt an einer fixen Stelle auf wechselnde Hintergrundmotive setzen zu können, wurden die Bildmotive abgedunkelt, was sie unauffällig macht, düster und matt wirken lässt. Auch hier wäre mit einer Signalfarbe (zumindest als Rahmen) und einem aufälligeren Corporate Design schon viel gewonnen.
Lust auf Wahlkampf?
'Damit gelang Volt von allen hier untersuchten Parteien am besten, aus dem Erwartbaren herauszubrechen.' manche sagen auch: 'Neunziger-Jahre-Jungvonmatthaftigkeit mit flotten Werberzoten' :) => https://taz.de/Volt-bei-der-Europawahl/!6015110/