BFSG Was man über das Barrierefreiheits- stärkungsgesetz wissen sollte. Und warum das alles doch ganz einfach ist.
Viele unserer Kund*innen beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dem Thema Barrierefreiheit. Öffentliche Stellen sind bereits nach der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV, letzte Fassung 2.0 aus dem Jahr 2019) dazu verpflichtet sicherzustellen, dass ihre Informationsangebote für Menschen mit Behinderung ohne Hindernisse zugänglich sind.
Die BITV gilt für Bundes- und Landesbehörden, Körperschaften öffentlichen Rechts, kommunale Behörden wie Städte, Gemeinden oder Landkreise, sowie Unternehmen die sich mit mindestens 50% in öffentlicher Hand befinden oder in deren Auftrag digitale Angebote zur Verfügung stellen. Die erste Version der BITV stammt bereits aus dem Jahr 2002 und fußt auf dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) desselben Jahres.
Im Juni 2025 tritt nun zusätzlich das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft und reguliert damit zahlreiche Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Verkehr gebracht bzw. erbracht werden. Das bedeutet, dass Dienstleistungserbringer*innen, die ihre Dienstleistungen unter Nutzung von Produkten, die bereits vor dem genannten Stichtag eingesetzt wurden, unbeschadet bis zum 27. Juni 2030 anbieten können. Ähnlich verhält es sich mit Verträgen, die bereits vor dem 28. Juni 2025 geschlossen wurden. Diese können weitere fünf Jahre fortbestehen, bis das BFSG greift. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz betrifft also zunächst nur Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 in den Umlauf gebracht werden.
Für wen gilt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das BFSG erweitert die Anforderungen für digitale Angebote auf Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen, die bisher nicht unter die BITV fallen. Damit sollen weitere Angebote verpflichtend barrierefrei werden, vor allem E-Commerce-Plattformen, Unternehmenswebsites mit Online-Shops im Business-to-Consumer Bereich und kostenpflichtige Bildungsangebote, egal ob als Website, App oder Terminal. Explizit erwähnt sind im Gesetz Online-Banking, Personenbeförderungsdienste, Telekommunikationsdienste, Online-Terminbuchungen oder eben Produkte, das meint Geräte wie Computer, Geldautomaten, E-Books, Fahrausweisautomaten oder ähnliche.
Ernst zu nehmen sind die Anforderungen allemal. Laut §28 des BFSG soll die Prüfung, ob relevante Produkte und Dienstleistungen tatsächlich gesetzeskonform umgesetzt sind von einer Marktaufsichtsbehörde auf Antrag, aber auch stichprobenartig geprüft werden. Bei Verstößen können Fristen gesetzt werden, deren Nichteinhaltung wiederum zu Vertriebsverboten oder Abschaltungen führen können. Wer gemäß §37 BFSG ordnungswidrig handelt, hat darüber hinaus mit Geldbußen von bis zu hunderttausend Euro rechnen. Für Hinweise inwieweit sich eine Zertifizierung in Hinblick auf mehr Rechtssicherheit lohnt, verweise ich übrigens auf den Blogpost "Barrierefreiheit mit Brief und Siegel" meines Kollegen Alexander Schulze.
Wer ist ausgenommen?
Gemäß § 3 Abs. 3 BFSG sind Kleinstunternehmen im Dienstleistungsbereich von den Barrierefreiheitsanforderungen ausgenommen (Die Betrachtung bezieht sich auf Dienstleistungsunternehmen, für Firmen die Produkte herstellen gibt es eine gesonderte Prüfung, vgl. BFSG §16f). Dazu zählen Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens 2 Millionen Euro. Ebenso ausgenommen sind Unternehmen im Bereich Business-to-Business (B2B), sowie Personenbeförderungsdienste, die nur regional agieren.
Jedoch sollte die Zielgruppe der Menschen mit Schwerbehinderung mit 7,8 Millionen Menschen in Deutschland und einem Anteil von 9,4 Prozent der Gesamtbevölkerung groß genug sein, um das Interesse der E-Commerce-Anbieter*innen zu wecken. Zudem helfen viele der Anforderungen auch dem Teil der User*innen, die in einer älter werdenden Gesellschaft am Informationsangebot in nicht mehr ganz so neuen Medien teilhaben möchten.
Was ist mit reinen Informationsangeboten?
Privatanwender*innen, gemeinnützige Vereine, Stiftungen, Verbände oder Gewerkschaften, die reine Informationsangebote ins Netz stellen, sind auch weiter nicht gesetzlich zur Barrierefreiheit verpflichtet. Werden aber Shop-Angebote, Anmeldungen zu kostenpflichtigen Veranstaltungen oder Spendenformulare integriert, dann könnte dies bereits eine Verpflichtung zur Folge haben.
Neben dem Blick auf rein monetäre Zielsetzungen, die gleichwohl im Fokus der EU-Binnenmarkt-Harmonisierung stehen, bestehen aber natürlich auch moralische Aspekte.
Warum unterstützen wir die Gestaltung barrierefreier Webseiten?
Wir treten für den Gedanken einer inklusiven Gesellschaft ein. Digitale Informationsangebote, die wir seit über 20 Jahren entwickeln, sind dabei Teil unseres Antriebs. Wir wollen die großartigen Online-Portale unserer Kund*innen allen Menschen zugänglich machen. Diese Informationen sind Teil der Informationsfreiheit, denn Zugang zu Informationen ist die Grundlage für freie Meinungsäußerung und diese Teilhabe muss allen Menschen möglich sein. Bereits seit Gründung des wegewerk haben wir uns diesen Idealen verpflichtet.
Europäische und Internationale Harmonisierung
Die Regeln und Anforderungen sind für Europa vereinheitlicht. Was im Datenschutz die DSG-VO, ist für Barrierefreiheit der European Accessibility Act. Dessen Übertragung in deutsches Recht hat den nicht minder einprägsamen Namen Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Während der EAA die rechtlichen Vorgaben formuliert, nennt die Europäische Norm EN 301 549 die konkreten Anforderungen. Sie umfasst die konkreten Details für Webseiten, Software und Dokumente, wie z.B. barrierefreie PDF.
Die Europäische Norm orientiert sich bei ihren Vorgaben wiederum an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese wurden im Rahmen der Standardisierungsprozesse des international besetzten World Wide Web Consortiums (W3C) zusammengestellt. Die derzeit aktuellen WCAG 2.2 vom Oktober 2023 stellen die Grundlage für das BFSG dar.
Was sind die technischen Vorgaben für das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?
Das BFSG orientiert sich (wie auch die BITV vorher) an diesen WCAG-Anforderungen. Grundlage bilden die vier Prinzipien Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit. Letzteres meint die Nutzbarkeit völlig unterschiedlicher Geräte, seien es die gängigen Browser auf Desktop-Rechnern, mobile Geräte oder assistive Technologien zur Ein- und Ausgabe.
Den Prinzipien folgen 13 Richtlinien, welche die Richtung vorgeben und das Ziel umschreiben. Auch wenn sich manche*r gern an strikten Vorgaben orientieren würde, gibt es technisch einigen Spielraum zur Umsetzung. Die Kriterien sind in drei Konformitätsstufen unterteilt: A (minimale Barrierefreiheit), AA (angemessene Barrierefreiheit) und AAA (hohe Barrierefreiheit). Das BFSG macht die Einhaltung der WCAG A/AA-Kriterien (aktuelle Version 2.2) nun zur Pflicht.
Das können ganz basale Anforderungen sein, wie z.B. für nicht-textliche Inhalte wie Bilder, Grafiken oder Videos textliche Alternativen zu hinterlegen, eine Audiotranskription für Videos oder Podcasts anzubieten oder die Bedienbarkeit der Website mit der Tastatur zu ermöglichen. Inhalte müssen gut strukturiert sein, damit sie mit assistiven Eingabeinstrumenten navigiert werden können. Auch ein guter Kontrast zwischen Text- und Hintergrundfarbe ist etwas, was wir als Selbstverständlichkeit einstufen.
In der Stufe AA kommen weitere Anforderungen hinzu, z.B. höhere Kontrastanforderungen, skalierbare Textgrößen, deskriptive Elemente, alternative Navigationsoptionen und weitergehende Untertitelungen z.B. bei Live-Video-Übertragungen. Auch wenn letzteres als Herausforderung gesehen wird, kann mit KI-Unterstützung selbst diese Anforderung erfüllt werden.
Videos in Gebärdensprache bereitzustellen wird oft als Überforderung wahrgenommen, ist jedoch erst in der Stufe AAA der WCAG verpflichtend.
Fazit
Ich hoffe mit diesem Beitrag einen Überblick über die gesetzlichen und technischen Vorgaben gegeben und damit einen Einblick in das Themenfeld "Barrierefreiheit" eröffnet zu haben. Der Text liefert Antworten darauf, ob die eigene Website barrierefrei zu sein hat. Wichtig dabei ist, das Thema Barrierefreiheit nicht als unüberwindbar einzuschätzen. Wenn auch technisch formuliert, sind die Anforderungen nachvollziehbar und helfen am Ende Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.
Sind Sie betroffen? Lassen Sie sich gern von uns beraten und beruhigen. Bis zum Inkrafttreten des BFSG am 28. Juni 2025 ist noch ein Jahr Zeit.