Dramatisierung mit verkürzten und verzerrten Balken im Zehnjahresvergleich

Traue keinem Infodesign, das du nicht selbst gefälscht hast. "Fälschen" fängt dabei mit der Auswahl des falschen Diagrammtyps schon an, liebe INSM. Oder war euer Infodesigner einfach nur unachtsam?

Information is beautiful. Diese programmatische Losung der neuen Infodesign-Welle hat sich auch die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM) des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall zu eigen gemacht. Eine Designkritik.

In leuchtenden Farben und professionell animiert bereitet die Initiative Daten zur Pro-Kopf-Verschuldung der öffentlichen Haushalte auf. Ganz im Sinne von mehr Wettbewerb werden die Bundesländer dabei im Vergleich präsentiert und die Entwicklung der letzten Jahre aufbereitet. Die Botschaft ist dabei klar: Die Unterschiede sind gewaltig, die Pro-Kopf-Verschuldung steigt dramatisch und allein Sachsen beweist, dass der Trend auch umgekehrt werden kann.

Was die Eindeutigkeit der Botschaft in diesem Infodesign noch verstärkt: Anstelle eines langweiligen Balkendiagramms wurde ein innovatives Kreisdiagramm genutzt.

Das widerspricht nicht den Regeln korrekter Statistik, sollte aber dem Umstand Rechnung tragen, dass in dieser Darstellungsform die "Balken" verzerrt sind, und die Skalierung daher der Verzerrung anpassen. Darauf wurde im Infodesign jedoch verzichtet, so dass die obersten 10% des auf dem Balken knapp zweieinhalb mal so viel Fläche einnehmen wie die untersten 10%. Somit sieht die Darstellung nicht nur aufgeräumter aus, sondern unterstreicht die vermutlich gewünschte Aussage.

Klickt man auf den oben abgebildeten Zehnjahresvergleich (hier für Hamburg), gesellt sich ein weiterer Effekt hinzu: Immerhin sind die Schulden in der Hansestadt in 10 Jahren um 36%, also unter Berücksichtigung des Zinseszins um 3,12% im Jahr gestiegen, was sicherlich deutlich über der Inflationsrate liegt. Der Wert war aber offensichtlich nicht groß genug. Um die Dramatik zu erhöhen, wurden die ersten 10.000 Euro der Werte im Balken einfach weg gelassen. Einen Hinweis auf die verkürzte Darstellung finden wir hier aber nicht.

So werden hier in der Länge 3995 Euro mit 241 Euro verglichen, was dramatische 1657% ergibt. Kombiniert mit dem bereits genannten Kreisdiagrammeffekt ergibt das sogar eine Steigerung von knapp viertausend Prozent. Mit derartigen Größenverhältnissen dürfte die Steigerung wohl mehr als deutlich geworden worden sein. Immerhin: man bekommt die realen Zahlen beim Mouseover angezeigt und kann die realen Fakten nachvollziehen. Anders als in unserer oben gezeigten Abbildung sieht man allerdings nie zwei Zahlen zugleich.
 

Die Methode zieht sich durch das Infodesign-Special hindurch, u.a. auch bei weniger verdichteten Informationen wie der Option Ländervergleich. Bei der oben abgebildeten Schuldenmessung zwischen Brandenburg und Hamburg ist auch für den Laien gut zu erkennen, dass hier eine viermal größere Fläche einen etwa doppelt so hohen Wert illustriert, denn hier werden alle Zahlen angezeigt. Üblich ist das nicht: Bei der Darstellung von Werten als Fläche sollte die Fläche und nicht die Seitenlänge den Wert zum Ausdruck bringen (Hier ein korrektes Beispiel von David McCandless).

Kollegenschelte liegt uns fern: Die Umsetzungsqualität des Schaubilder ist exzellent. Umsomehr eignen sich die Schaubilder aber als Anschauungsbeispiel für den feinen Unterschied zwischen der visuellen Aufbereitung von Information und der Manipulation des Betrachters, oder zugespitzt: für den schmalen Grat zwischen Aufklärung und Propaganda. Ob diese Visualisierungstricks der INSM mehr nützen oder schaden, bleibt abzuwarten und zu diskutieren. Wir selbst empfehlen, im Sinne nachhaltiger Glaubwürdigkeit auf derartige Effektverstärker besser zu verzichten.
Zum Info-Special der INSM "Wer schafft die Schuldembremse